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Erziehung - Was genau ist das eigentlich?

Leandra Vogt
Leandra Vogt
Stand: 10. Juni 2023

Erziehung ist ein komplexer und vielschichtiger Begriff, der die Art und Weise beschreibt, wie Menschen Wissen, Werte und Verhaltensweisen von einer Generation zur nächsten weitergeben, beziehungsweise vorleben [1]. In den letzten 100 Jahren hat sich die Erziehung aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen erheblich entwickelt und weiterentwickelt. Diese Entwicklung hat zu verschiedenen Erziehungsstilen geführt, die unterschiedliche Auswirkungen auf unsere Kinder haben können [2]. In diesem Artikel werden wir den Begriff "Erziehung" definieren und genauer betrachten, wie sich diese in den letzten 100 Jahren entwickelt hat. Darüber hinaus werden wir auf verschiedene Erziehungsstile eingehen, ihre Auswirkungen diskutieren und Wege aufzeigen, wie du den Erziehungsstil finden kannst, der ganz persönlich zu dir und deiner Familie passt.

Wie definieren wir »Erziehung«?

Erziehung bezieht sich auf den Prozess der sozialen Interaktion, bei dem Werte, Normen, Kenntnisse und Fähigkeiten von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden. Dabei stellt Erziehung die soziale Interaktion zwischen Menschen, bei der ein Erwachsener planvoll und zielgerichtet versucht, bei einem Kind unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und der persönlichen Eigenart des Kindes erwünschtes Verhalten zu entfalten oder zu stärken dar. Häufig liegt der Erziehung die Intention zu Grunde, Kinder auf das Leben in der Gesellschaft vorzubereiten, ihre intellektuelle, emotionale und soziale Entwicklung zu fördern und ihnen die Werkzeuge zu geben, um in der Welt erfolgreich zu sein [3].

In den Bindungs- und bedürfnisorientierten Strömungen, wie der Erziehungsbegriff oftmals sehr kritisch betrachtet und die Begrifflichkeit «unerzogen» wird kontrovers diskutiert. Das zielgerichtete Handeln der Erwachsenen, welche das Kind verändern möchten, wird als Machtmissbrauch eingeordnet. Wir beim familienort betrachten diese Auseinandersetzung mit diesem Begriff als sehr spannend, und betrachten sie aus vielerlei Perspektiven. Wir gehen davon aus, dass wir nicht nicht-erziehen können. Denn selbst die Begleitung durch uns als Erwachsene, die dem Kind das höchste Mass an Selbstbestimmung, Einfühlung und Freiheit gibt, verfolgt das Ziel, das Kind durch eine bestimmte Art und Weise, das Heranwachsen zu ermöglichen, zu einem freien und selbstbestimmten Menschen zu begleiten.

Man könnte meinen, dass hierzu kein Eingreifen nötig sei – doch brauchen Kinder Begleitung, Halt und Orientierung in einer komplexen Welt, die für sie erst nach und nach verständlicher wird. Das kritische Hinterfragen des Machtmissbrauchs halten wir für absolut gerechtfertigt und relevant - den Begriff der Erziehung zu stürzen oder gar zu verteufeln, für weniger sinnvoll.

Wie hat sich die Erziehung innerhalb der letzten 100 Jahre entwickelt?

In den letzten 100 Jahren hat sich die Erziehung stark gewandelt, da sich die Gesellschaft, ihre Werte und Normen, ihre wirtschaftlichen Bedingungen und Technologien weiterentwickelt haben. Hier sind einige wichtige Entwicklungen, die die Erziehung in diesem Zeitraum beeinflusst haben:

1) Von autoritär zu demokratisch

Früher waren autoritäre Erziehungsansätze weit verbreitet, bei denen Eltern und Lehrer eine dominierende Rolle spielten und Gehorsam und Disziplin im Vordergrund standen. Im Laufe der Zeit hat sich ein demokratischerer Ansatz entwickelt, der auf Partizipation, Kooperation und individueller Entfaltung basiert.

2) Von disziplinarisch zu unterstützend

Die Erziehung hat sich von einem disziplinarischen Ansatz, der Strafen und Kontrolle betonte, hin zu einem unterstützenden Ansatz entwickelt, der auf Empathie, Kommunikation und emotionaler Unterstützung beruht. Das Verständnis für die Bedeutung der emotionalen und psychischen Gesundheit von Kindern hat zugenommen.

3) Von traditionell zu individualisiert

Traditionell war die Erziehung stark von gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbildern geprägt. Heutzutage wird mehr Wert auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten jedes Kindes gelegt. Es gibt einen wachsenden Fokus auf personalisiertes Lernen und die Entwicklung beziehungsweise Förderung von Stärken und Talenten.

4) Von autoritären zu gleichberechtigten Beziehungen

Früher wurde Erziehung oft als hierarchisches Verhältnis zwischen Erziehenden und Erzogenen betrachtet. Heute wird Wert auf gleichberechtigte Beziehungen gelegt, bei denen Kinder und Jugendliche eine Stimme haben und in Entscheidungsprozesse einbezogen werden.

Welche Erziehungsstile gibt es und was machen sie mit uns?

In Bezug auf den Erziehungsstil von Eltern, Lehrern und Co. gibt es verschiedene Ansätze, die sich durch unterschiedliche Merkmale auszeichnen. Hier sind einige bekannte Erziehungsstile:

Autoritärer Erziehungsstil

Dieser Stil zeichnet sich durch hohe Kontrolle und Disziplin aus. Eltern setzen klare Regeln und erwarten Gehorsam von ihren Kindern. Diese Form der Erziehung kann zu einem vermeintlich "braven Verhalten" führen, aber auch zu einem Mangel an Selbstvertrauen, Problemen bei der Selbstregulation und vielem mehr.

Permissiver Erziehungsstil «Laissez-faire»

Dieser Stil ist durch geringe Kontrolle und hohe Nachsicht geprägt. Eltern erlauben ihren Kindern viel Freiheit und vermeiden Konflikte. Diese Erziehung kann zu einem geringen Selbstvertrauen, sowie zu Problemen bei der Selbstregulation und Verantwortungsübernahme bei Kindern führen.

Autoritativer Erziehungsstil

Dieser Stil zeichnet sich durch ein ausgewogenes Verhältnis von Führung und Unterstützung aus. Eltern setzen Regeln und Grenzen, nehmen aber auch die Bedürfnisse und Meinungen ihrer Kinder ernst. Dieser Erziehungsstil kann zu positiven Entwicklungen in Bezug auf Selbstvertrauen, soziale Kompetenzen und Selbstregulation führen [4].

Wie finde ich Klarheit und Orientierung für meinen Erziehungsstil?

Die Wahl beziehungsweise Ausführung unseres Erziehungsstils kann erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung und das Wohlbefinden unserer Kinder haben. Das Bewusstsein darüber kann bei uns Eltern grossen Druck ausüben, schliesslich wollen wir einen guten Job machen und wünschen uns für unsere Kinder nur das Beste [5]. Eines vorweg: die Begleitung von Kindern, und somit auch dein Erziehungsstil, bleibt ein Weg. Du darfst nachsichtig mit dir sein. Wichtig, weil hilfreich ist, dass du deinen eigenen Erziehungsstil immer wieder bewusst reflektierst, um ihn gegebenenfalls anpassen zu können, um den individuellen Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu werden. Hier sind einige Ansätze, wie Du deinen persönlichen Erziehungsstil bewusst gestalten kannst:

1. Selbstreflexion

Reflektiere und überprüfe regelmässig deine eigenen Werte, Überzeugungen und Erwartungen und hinterfrage liebevoll-kritisch, wie diese sich auf die Erziehung deines Kindes auswirken.

2. Informierte Entscheidungen

Eine grosse Hilfe kann es sein, sich über verschiedene Erziehungsstile, pädagogische Ansätze und Formen für den Umgang mit Kindern zu informieren. Durch eine informierte Entscheidung kannst du für mehr Klarheit und Orientierung in deinem und im Alltag deines Kindes beitragen. Wichtig:Mittlerweile wimmelt es in den Buchläden und im Internet nur so von Informationen rund um die «richtige» Begleitung von Kindern. Überprüfe stets, wer die Informationen bereitgestellt hat, die du liest und hinterfrage sie stets kritisch. Als besorgter Elternteil stellst du eine sehr vulnerable Zielgruppe dar, was einige leider zum Anlass nehmen, Familien eher geleitet durch finanzielle Interessen zu begleiten. Nicht alles, was im Internet steht, hat Fundament. Wenn du einmal unsicher sein solltest, beziehe mehrere Quellen und suche dir professionelle Begleitung.

3. Flexibilität

Erziehung als Weg - Die stetige Bereitschaft, den eigenen Erziehungsstil anzupassen und zu verändern, wenn sich die Bedürfnisse und die Entwicklung ihrer Kinder verändern, kann dir zu mehr Gelassenheit und einem entspannteren Familienklima verhelfen.

4. Kommunikation

Offene und respektvolle Kommunikation mit den Kindern ist entscheidend, um ihre Meinungen, Bedürfnisse und Gefühle zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.

5. Unterstützung suchen

Eltern können stets Unterstützung von Fachleuten wie Erziehungsberatern, Lehrern oder Psychologen suchen, um bei der Entwicklung eines geeigneten Erziehungsstils unterstützt zu werden. Und nein, das bedeutet nicht, dass du gescheitert bist. Ganz im Gegenteil: Die persönlichen Grenzen wahrzunehmen und sich entsprechend Unterstützung einzufordern ist ein klares Zeichen von Stärke und letztendlich das Einzige, was dich wirklich voranbringen kann, wenn deine persönliche Grenze nun mal erreicht ist. P.S.: Wir alle haben Grenzen. Das ist normal. Ja, auch Eltern haben sie!

Fazit

Die Erziehung hat sich in den letzten 100 Jahren erheblich verändert und entwickelt. Der Übergang von autoritären und disziplinorientierten Ansätzen zu demokratischen und unterstützenden Erziehungsstilen spiegelt die Veränderungen in der Gesellschaft und den Wertvorstellungen wider. Die Wahl des Erziehungsstils hat signifikante Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder, und es ist wichtig, dass Eltern ihren persönlichen Erziehungsstil bewusst reflektieren und anpassen, um den individuellen Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht zu werden.

Die kontinuierliche Reflexion, Flexibilität und offene Kommunikation sind Schlüsselfaktoren bei der Gestaltung einer positiven Erziehungserfahrung für Kinder. Auf dem Weg dieser Anspruchsvollen Aufgabe dürfen Eltern sanft mit sich selbst bleiben und stets liebevoll und nachsichtig auf ihr Handeln schauen. Verurteilung und Druck führt nur zuweiterem Stress, welcher wiederum dazu führen kann, dass die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes weniger gut erkannt werden können. Erziehung bleibt ein Weg, auf den sich jede Familie gemeinsam macht.

Quellen

[1] Darling, N., & Steinberg, L. (1993). Parenting style as context: An integrative model. Psychological Bulletin, 113(3), 487-496.

[2] Baumrind, D. (1991). The influence of parenting style on adolescent competence and substance use. Journal of Early Adolescence, 11(1), 56-95.

[2] Baumrind, D. (1991). The influence of parenting style on adolescent competence and

[3] Maccoby, E. E., & Martin, J. A. (1983). Socialization in the context of the family: Parent- child interaction. In P. H. Mussen & E. M. Hetherington (Eds.), Handbook of Child Psychology: Vol. 4. Socialization, personality, and social development (4th ed., pp. 1-101). Wiley.

[4] Lamborn, S. D., Mounts, N. S., Steinberg, L., & Dornbusch, S. M. (1991). Patterns of competence and adjustment among adolescents from authoritative, authoritarian, indulgent, and neglectful families. Child Development, 62(5), 1049-1065.

[5] Chao, R. K. (1994). Beyond parental control and authoritarian parenting style: Understanding Chinese parenting through the cultural notion of training. Child Development, 65(4), 1111-1119.