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Der gesunde Umgang mit dem schlechten Gewissen

Leandra Vogt
Leandra Vogt
Stand: 22. Oktober 2023

Eltern zu sein, ist eine der herausforderndsten Aufgaben, die das Leben zu bieten hat. Zwischen Windeln wechseln, Schlafmangel und dem Jonglieren unzähliger Verantwortlichkeiten fühlen sich viele von uns häufig überfordert. Doch neben der alltäglichen Erschöpfung gibt es ein bestimmtes Gefühl, das viele Eltern quält und in den Wahnsinn treibt: das schlechte Gewissen.

In diesem Artikel möchten wir dir zeigen, wie du einen gesunden Umgang mit diesem schmerzhaften Begleiter der Elternschaft finden kannst, indem wir uns auf drei Schlüsselkonzepte konzentrieren: Liebevolle Selbstreflexion, die bedingungslose Annahme aller Gefühle und die (professionelle) Unterstützung.

Tipp 1: Liebevolle Selbstreflexion

Eines der ersten Dinge, die du tun kannst, um mit deinem schlechten Gewissen umzugehen, ist, dich selbst liebevoll zu reflektieren. Warum fühlst du dich schuldig? Welche Erwartungen setzt du dir selbst? Eine liebevolle Selbstreflexion erfordert Ehrlichkeit mit dir selbst und die Bereitschaft, deine eigenen Erwartungen und Ansprüche zu überprüfen. Hier einige Impulsfragen zum reflektieren deines schlechten Gewissens:

1. Warum habe ich ein schlechtes Gewissen in Bezug auf meine Elternschaft?

2. Welche konkreten Situationen oder Entscheidungen haben zu diesem schlechten Gewissen geführt?

3. Habe ich realistische Erwartungen an mich selbst als Elternteil? Oder sind meine Erwartungen zu hoch?

4. Inwiefern wird mein schlechtes Gewissen von äußeren Einflüssen, wie gesellschaftlichen Normen oder Meinungen anderer, beeinflusst?

5. Wie beeinflusst mein schlechtes Gewissen meine Beziehung zu meinem Kind?

6. Gibt es bestimmte Verhaltensweisen oder Muster, die ich ändern möchte, um mein Gewissen zu erleichtern?

7. Habe ich aus meinen Fehlern gelernt und welche Schritte werde ich unternehmen, um sie nicht zu wiederholen?

8. Wie blicke ich auf Fehler der Elternschaft – dürfen diese vorkommen?

9. Welche Werte und Ziele habe ich für meine Kinder, und wie können meine Handlungen dazu beitragen, diese Werte zu fördern?

10. Wie kann ich mir selbst gegenüber mehr Mitgefühl entgegenbringen?

11. Berücksichtige ich meine eigenen Bedürfnisse genügend?

12. Habe ich mit meinem Partner oder anderen Vertrauenspersonen über meine Gefühle gesprochen und Unterstützung gesucht? Mit wem kann ich über meine Gefühle offen sprechen?

Welche Ressourcen oder Hilfsmittel könnten mir helfen, meine Elternschaft zu verbessern und mein schlechtes Gewissen zu lindern?

Das regelmässige einchecken mit sich selbst kann eine äusserst hilfreiche Praxis sein, um auch in unangenehmen Gefühlen wie beispielsweise dem schlechten Gewissen eine Chance für die positive Weiterentwicklung des Familienlebens zu finden.

Tipp 2: Liebevolle Selbstreflexion

Das schlechte Gewissen ist oft eng mit anderen unangenehmen Gefühlen wie Frustration, Ärger oder Traurigkeit verknüpft. Anstatt diese Gefühle zu unterdrücken oder zu verleugnen, ist es entscheidend, sie zu akzeptieren und zu erkennen, dass sie ein natürlicher Teil des Elternseins sind.

Akzeptanz oder wie wir es auch nennen: die «Annahme» aller Gefühle bedeutet, dass du dir selbst gegenüber freundlich und mitfühlend bist, auch wenn du dich schuldig oder unzulänglich fühlst. Dr. Kristin Neff, eine Pionierin im Bereich der Erforschung von Selbstmitgefühl und Professorin für Psychologie an der University of Texas, betont, wie wichtig es ist, sich selbst dieselbe Freundlichkeit und Unterstützung zu gewähren, die du deinem Kind bieten würdest [1].

Warum ist die Annahme aller Gefühle so wichtig? Die Unterdrückung oder Verdrängung von unangenehmen Emotionen kann langfristig zu negativen Auswirkungen führen. Studien haben gezeigt, dass die Unterdrückung von Gefühlen mit erhöhtem Stress, Angstzuständen und Depressionen in Verbindung gebracht werden kann.

Die renommierte Psychologin Susan David erklärt, dass Emotionen wie eine Welle sind – sie kommen und gehen. Wenn wir versuchen, sie zu unterdrücken, verstärken wir oft unsere emotionalen Reaktionen [2]. Anstatt dich selbst dafür zu verurteilen, dass du dich schuldig fühlst oder andere unangenehme Gefühle hegst, ermutigen Experten dazu, diese Gefühle anzuerkennen und zu verstehen. Dadurch können wir unsere Fähigkeit zur Selbstregulierung , einer wichtigen Resilienz-Kompetenz, und unseren Umgang mit schwierigen Emotionen stärken.

Aus der Wissenschaft

2003 erschien ein Artikel von Forschenden der Stanford University mit dem Titel «The Social Consequences of Expressive Suppression» in der Fachzeitschrift «American Psychological Association». Im Rahmen zweier Studien fanden die Forschenden heraus, dass sich das Unterdrücken von Gefühlen negativ auf den Blutdruck sowie hemmend auf die Beziehungsbildung auswirkt.

Link: https://psycnet.apa.org/record/2003-02341-008

2012 konnten Psychologen der Universität Jena im Rahmen einer Meta-Analyse, die in der Fachzeitschrift «Health Psychology» erschien, zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Verdrängen von Gefühlen und bestimmten Krankheiten gibt.

Link zur Pressemitteilung über die Meta-Analyse:
https://idw-online.de/en/news508214

Auch interessant: Der Zusammenhang zwischen dem versuchten Unterdrücken von Emotionen und Depressionen.

Link: https://econtent.hogrefe.com/doi/10.1026//0942-5403.12.3.133

Tipp 3: (Professionelle) Unterstützung

Ein weiterer Schlüssel zum lösungsorientierten Umgang mit dem schlechten Gewissen ist die Suche nach (professioneller) Unterstützung. Du musst nicht alle Aufgaben in der Elternschaft alleine bewältigen. Es ist okay, um Hilfe zu bitten. Wenn du dich überfordert fühlst oder das Gefühl hast, dass das schlechte Gewissen deine Lebensqualität stark beeinträchtigt, kann die Konsultation eines Psychologen oder Familientherapeuten sehr hilfreich sein.

Zusätzlich zur professionellen Hilfe ist es wichtig, ein verlässliches soziales Netzwerk aufzubauen. Sprich mit deinem Partner, Freunden oder anderen Eltern über deine Gefühle und Sorgen. Der Austausch kann eine wichtige Quelle der emotionalen Unterstützung sein und dir helfen, realistischere Erwartungen an dich selbst zu entwickeln. Die Gewissheit, dass du nicht allein mit deinen Herausforderungen bist, kann eine enorme Erleichterung bedeuten.

Fazit

Liebe Eltern, das schlechte Gewissen ist ein treuer Begleiter in der Elternschaft, aber es muss nicht die Überhand gewinnen. Indem du liebevoll auf dich selbst reflektierst, nach (professioneller) Unterstützung suchst, und alle deine Gefühle akzeptierst, kannst du einen gesunden Umgang damit finden. Du bist nicht perfekt, und das ist in Ordnung. Was zählt, ist die Liebe und Fürsorge, die du deinem Kind schenkst.

Lass uns gemeinsam daran arbeiten, das schlechte Gewissen in der Elternschaft zu entmystifizieren und ein positives Umfeld für uns und unsere Kinder zu schaffen. Du machst einen großartigen Job, auch wenn du es manchmal nicht glaubst.

Quellen

[1] Neff, Kristin (2012): Selbstmitgefühl. Wie wir uns mit unseren Schwächen versöhnen und uns selbst der beste Freund werden. München: Kailash.

[2] David, Susan (2017): Emotional Agility. Get Unstuck, Embrace Change and Thrive in Work and Life. London: Penguin Books Ldt.

Weitere relevante Quellen

Baer, Udo; Frick-Baer, Gabriele (2022): Das große Buch der Gefühle. Weinheim: Julius Beltz GmbH & Co. KG.

Bane, Jenn; Trin Garritano: Die Kunst der Freundschaft: Freunde finden, Freunde sein, Freunde bleiben. München: Knesebeck.