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Toxischer Positivismus: Warum zu viel des Guten Familien schaden kann

Leandra Vogt
Leandra Vogt
Stand: 01. Oktober 2023

Du bist ein liebender Elternteil, der nur das Beste für sein Kind will und möchtest deinem Kind zeigen, dass es viel Gutes in der Welt gibt. In einer Welt, die oft von Stress und Unsicherheit geprägt ist, suchen viele Menschen nach einem Hauch von Glück und Freude, um sich aufzumuntern. Positives Denken kann zweifellos eine kraftvolle Ressource sein und dazu beitragen, Herausforderungen zu meistern. Zu viel des Guten kann allerdings auch schaden. What!? In diesem Artikel werden wir uns mit dem Begriff des "Toxischen Positivismus" befassen und herausfinden, warum es für Eltern so wichtig ist, eine Balance zwischen Optimismus und Realität zu finden.

Was ist Toxischer Positivismus

Toxischer Positivismus bezieht sich auf eine übertriebene Betonung des Positiven und die Ablehnung von allem, was als negativ, unangenehm oder kritisch angesehen wird. Menschen, die toxischen Positivismus praktizieren, neigen dazu, Probleme zu verharmlosen oder zu ignorieren, anstatt sie anzugehen und Lösungen dafür zu finden.

Für dich als Elternteil kann das bedeuten, dass du deine eigenen Gefühle und die deines Kindes unterdrückst, anstatt sie anzuerkennen und damit umzugehen – das kennen wir doch eigentlich eher aus den autoritärem Erziehungsstil, oder!? Ganz genau! Mit dem Absprechen oder relativieren von unangenehmen Gefühlen, übergehst du sowohl dich selbst als auch dein Kind. Herausforderungen und Enttäuschungen werden dann eher übersehen und das Kind hat keinen Zugang zu Co-Regulation durch seine Bezugsperson. Das kann sich wiederum negativ auf die Fähigkeit zu Emotionsregulation und Selbststeuerung deines Kindes auswirken – wichtige Kompetenzen für dessen Resilienzförderung. Das unter Coaches, Familien und Familienbegleiter weitverbreitete «Positive Vibes only» ist also gar nicht mal so lustig und vor allem nicht kompetent.

Aber wie genau sieht Toxischer Positivismus im Alltag ganz konkret aus?

Hier sind einige typische Sätze oder Aussagen, die im Zusammenhang mit toxischem Positivismus stehen könnten

Toxischer Positivismus kann dazu führen, dass Menschen ihre eigenen Gefühle und die anderer Menschen negieren oder abwerten, was langfristig zu psychischen Belastungen führen kann. Es ist wichtig, ein ausgewogenes Verständnis von positivem Denken zu fördern, das die Anerkennung negativer Emotionen und die Unterstützung in schwierigen Zeiten einschließt.

Die Gefahren für Eltern

Toxischer Positivismus mag zunächst harmlos erscheinen, aber er birgt ernsthafte Gefahren, insbesondere für Eltern und ihre Kinder. Hier sind einige der Hauptprobleme, die auftreten können:

1. Unterdrückung von Gefühlen

Wenn du toxischen Positivismus praktizierst, neigst du dazu, deine negativen Emotionen zu unterdrücken. Du fühlst dich vielleicht gezwungen, immer fröhlich und optimistisch zu sein, selbst wenn du innerlich kämpfst. Das kann zu emotionaler Erschöpfung führen und es erschwert dir, angemessen auf die Bedürfnisse deines Kindes einzugehen.

2. Unrealistische Erwartungen

Eltern, die toxischen Positivismus praktizieren, setzen sich und ihre Kinder oft unrealistischen Erwartungen aus. Sie glauben, dass alles immer gut laufen sollte und dass negative Erfahrungen vermieden werden können. Das kann zu übermäßigem Druck führen, der dich und dein Kind belastet.

3. Mangelnde Vorbereitung auf das Leben

Das Leben ist voller Herausforderungen und Enttäuschungen, das ist okay und es ist wichtig, Kinder auf diese Realität vorzubereiten. Toxischer Positivismus kann dazu führen, dass du deinem Kind nicht beibringst, wie man mit Rückschlägen umgeht und wie man Resilienz entwickelt. Das kann die Fähigkeit deines Kindes beeinträchtigen, in der Zukunft die Höhen und Tiefen des eigenen Lebens zu meistern.

4. Schwierigkeiten bei der Kommunikation

Wenn du deine eigenen Gefühle und die deines Kindes unterdrückst, kann dies die Kommunikation in eurer Familie erschweren. Dein Kind könnte das Gefühl haben, dass es nicht über seine Sorgen und Ängste sprechen kann, was langfristig zu Beziehungsproblemen führen kann.

Wie kann ich mich von zwanghaftem Optimismus befreien?

Du erkennst dich im bisherigen Text ein bisschen wieder und möchtest etwas verändern? Du wünschst dir mehr Annahme sowohl für deine eigenen Gefühle als auch für dich selbst? Wie so oft ist die Voraussetzung dafür die Erkenntnis durch Selbstreflexion. Wenn ich mir selbst eingestehe kann, dass ich zwanghaft optimistisch denke und meine negativen Gefühle unterdrücke, kann ich etwas ändern. Das ist natürlich nicht immer so leicht. Ich muss für diese Erkenntnis eine unangenehme Emotion zulassen. Selbstverständlich haben Menschen, die ihre negativen Gefühle nicht spüren möchten, Gründe dafür. Möglicherweise wurde eine unangenehme Erfahrung nicht verarbeitet. Daher kann es von Vorteil sein, nicht alleine damit zu bleiben.  Im weiteren Verlauf kann es hilfreich sein, sich Unterstützung bei Freunden, (kompetenten) Coaches oder Therapeuten zu suchen – und das ist kein Zeichen von Schwäche, sondern es zeugt von enormer Stärke und Resilienz. Wenn du erkennst, wo du an deine Grenzen stösst, kannst du dir jene Unterstützung ins Leben holen, die es braucht, damit du eine Herausforderung bewältigen kannst.

Gesunde Zuversicht – Die Co-Existenz von Schatten und Sonnenseiten

Es ist wichtig zu betonen, dass Positivdenken an sich nicht das Problem ist. Tatsächlich kann eine positive Einstellung das Leben enorm bereichern und zu einer gesunden psychischen Verfassung und Resilienzförderung beitragen. Der Schlüssel liegt darin, ein Gleichgewicht zwischen Positivität und Realismus zu finden. Hier sind einige Schritte, die du in dein Leben integrieren kannst, um eine gesunde Positivität zu kultivieren:

1. Anerkennung von Emotionen

Es ist absolut in Ordnung, unangenehme Emotionen zu haben und sie auszudrücken. Du darfst traurig, wütend oder frustriert sein, wenn du vor Herausforderungen stehst. Zeige deinem Kind, dass es genauso okay ist, diese Emotionen zu haben und darüber zu sprechen.

2. Realistische Erwartungen

Setze realistische Erwartungen an dich selbst und dein Kind. Niemand ist perfekt, und Fehler sind menschlich und beinhalten Chancen zum Lernen. Ermutige dein Kind, sein Bestes zu geben, anstatt perfekt zu sein.

3. Förderung von Resilienz

Lehre dein Kind, wie es mit Rückschlägen umgehen und widerstandsfähig werden kann. Zeige ihm, wie man nach Lösungen für Probleme suchen kann und wie man mit Schwierigkeiten umgeht, anstatt sie zu ignorieren.

4. Offene Kommunikation

Schaffe eine Umgebung innerhalb deiner Familie, in der offene Kommunikation gefördert wird. Lass dein Kind wissen, dass es immer mit dir sprechen kann, wenn es Probleme hat, und höre aktiv zu, wenn es sich öffnet.

Eine gesunde Balance finden

Toxischer Positivismus kann für Familien schädlich sein, da er zu einer Unterdrückung von Gefühlen, unrealistischen Erwartungen und mangelnder Vorbereitung auf das Leben führen kann. Als Elternteil darfst du dir selbst erlauben, menschlich zu sein, und deinem Kind nahebringen, wie es resilient und widerstandsfähig gegenüber den Herausforderungen des Lebens reagieren kann. Wenn du eine gesunde Balance zwischen Realismus und Zuversicht findest, wirst du und dein Kind besser in der Lage sein, die Stürme des Lebens zu meistern und gestärkt daraus hervorzugehen. Du hast die Fähigkeit, eine positive, aber realistische Lebensphilosophie zu leben, die dein Kind inspirieren und unterstützen wird, während es aufwächst und sich entwickelt.

Relevante Studien und Literatur

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Maas, A. (2021). Die Happiness-Lüge: Wenn positives Denken toxisch wird. Eden Books.